Der Bus schaukelt, zu viele Menschen stehen im Gang und schnappen sich gegenseitig die knappe Luft weg, mittendrin ich mit dem Kinderwagen. Das Baby weint leise, weil es nun wirklich nicht mehr liegen mag oder weil das Schaukeln im Bus eben doch ein anderes ist als das beim Geschobenwerden, wer weiß.
„Wie kann man nur so bequem sein“, spricht eine ältere Frau ihre Sitznachbarin an, während sie mich mit Blicken abschlachtet. Was sie weiß: Es sind nur noch sechs Stationen bis zur Endhaltestelle, wir fahren also nur ein kurzes Stück mit, und das bei schönstem Wetter. Was ich weiß: Wir waren stundenlang im Wald und sind Kilometer weit gelaufen, meine Beine schmerzen, und bevor mein Baby herzzerreißend brüllt wegen purer Überreizung – denn es hat unterwegs durchaus gespeist und geschlafen – fahre ich auf schnellstem Wege nachhause. Die Frau weiß nicht, dass das auch für sie das Beste ist.
In einer ähnlichen Situation wurde ich von einer Mutter, die ebenfalls mit Kinderwagen im Bus stand, aufgeklärt: „Das sind die Zähne. Das ist nur eine Phase, das war bei uns auch so in dem Alter.“ Was sie weiß: Ihr Kind ist älter als meines und sie kann zurückblicken. Was ich weiß: Dieses ist mein jüngstes Kind von dreien und ich habe, so sie nicht ebenfalls mehrere hat, mehr Erfahrung als sie – oder jedenfalls genug, um das jeweilige Zahnen schon Tage im Voraus zu spüren.
Die Leute sehen nur das, was sie sehen, ziehen ihre Schlüsse daraus und kommen gar nicht auf die Idee, eine Tür in ihrem Gehirn zu öffnen ins Nebenzimmer. Wenn ich mit nur einem der Kinder unterwegs bin, fallen Bemerkungen über Einzelkinder; auf dem Spielplatz wollen die nicht teilen, an der Kasse haben sie es gut, weil sie gleich drei Schokoriegel bekommen. Wenn ich an einem Samstag alleine in einen Baumarkt gehe, werde ich angeflirtet. Sitze ich alleine im Kino, weil der Babysitter ausgefallen ist, bin ich ein einsames Würstchen.
Und, ehrlich, ich funktioniere in der Regel ebenfalls so. Ich ordne irgendwelche Dinge ein, und wenn bereits das nächste wahrzunehmen ist, lasse ich sie dort, wo ich sie abgelegt habe. Ich rechne nicht ständig mit dem Irrtum.
Im Krimi sind die Leser natürlich mehr auf der Hut, wollen beim Mitraten nichts übersehen. Umso schöner für den Schreibenden, wenn sie überhaupt nicht bemerken, dass sie an einer Stelle etwas hätten hinterfragen müssen, und erst rückblickend begreifen. Wenn sie etwas nicht sehen und sich ihres Tunnelblicks nicht bewusst sind. Wenn sie A für B nehmen, weil sie falsch kombinieren. Damit kann man spielen.
Ein bisschen gilt das auch für die Protagonisten untereinander; nur der Leser weiß Bescheid und sieht dem Missverständnis zu, wie es sich unaufhaltsam entwickelt. Obacht jedoch, die Figuren nicht wie Idioten dastehen zu lassen, die spät kapieren, was leicht zu erkennen gewesen wäre. Wir sind nicht in einer Soap.
Also, öfter mal umdrehen, dann klappt die Tür im Hirn vielleicht durch die Bewegung auf. Und generell mit Glastüren arbeiten.